Das Wort zum Sonntag — Von Sarajevo, der Sprachbarriere und meiner neuen Familie

by Kathi Daniela

[:de]

Vor einer Woche saß ich im Flugzeug und sah Sarajevo unter mir immer kleiner werden. Die Hänge der schneebedeckten Berge gesprenkelt mit illegal gebauten Häusern. Eine Glocke von Smog gibt dem ganzen Bild irgendetwas seltsam Ätherisches, etwas Magisches. Dann verschwindet die Stadt aus dem Blickfeld, macht schneebedeckten Berggipfeln Platz und ich lehne mich zurück.

Sarajevo ist mir ans Herz gewachsen in den vergangenen 10 Tagen. Anders als bei meinem ersten Besuch in Bosnien August 2017 ist jetzt keine fremde, exotische Stadt mehr, die es zu erkunden gilt. Es ist eine Stadt, in der ich jetzt auf einmal eine Familie habe.


Das ist seltsam, wenn du verheiratet bist.

Auf einmal gibt es da eine neue Familie in deinem Leben. Menschen, die für einen anderen Menschen die Welt bedeuten werden ein Teil deiner eigenen Welt. Das ist schön und ein bisschen angsteinflößend gleichzeitig. Schließlich will man mit der neuen Familie, mit den Schwiegereltern alles richtig machen. Fettnäpfchen vermeiden und ein echter Teil dieses neuen sozialen Netzwerks werden – nicht nur wegen des Rings am Finger.


Doch Bosnien hat es mir wieder einmal einfach gemacht.

Ein Zuhause in der Fremde bekommen. Mit offenen Armen empfangen werden. Es ist schwierig, sich hier inmitten dieser fröhlichen, herzlichen Menschen den Kopf zu zerbrechen darüber, ob man alles richtig macht.

Denn spätestens wenn ein paar Drinks die Zunge gelockert haben, verstehen wir uns schon – irgendwie. Lachen über Witze, die wir gegenseitig eigentlich gar nicht verstehen. Lachen einfach, weil es schön ist, mit jemandem ehrlich zu lachen. Und ich versuche, zumindest manchmal ein einfaches »Hvala. Danke.« über die Lippen zu bringen, auch, wenn sich die Buchstaben noch so komisch in meinem Mund anfühlen und Fremde und Freunde kramen für mich ihre Deutsch- und Englischkenntnisse heraus, egal wie dürftig.


Manchmal fühle ich mich sogar ein bisschen befreit durch die Sprachbarriere.

Ich muss nichts Schlaues sagen. Niemand erwartet bestimmte Worte von mir. Ich kann mich rausnehmen, zoned out. Unter Menschen sein, aber trotzdem einfach mal abschalten. Total ich selbst sein.


Trotzdem: Cultural differences are real.

Ich gewöhne mich noch an die Unterschiede.
Daran, dass jeder hier in Bosnien hier extrovertiert zu sein scheint. An diese seltsame Liebe für Volksmusik und die ansteckende Freude am Tanzen und Singen. Daran, dass es total okay ist, zwei Stunden im Café zu sitzen und manchmal einfach nur die Leute anzugucken.

An den starken bosnischen Kaffee abends um acht, der mich komischerweise nicht um den Schlaf bringt. An den Gesang des Muezzins fünfmal am Tag, der für mich wunderschön klingt. Daran, dass Menschen sechs Tage die Woche für 400 Euro im Monat arbeiten und sich einfach damit abgefunden haben. Damit, dass ich mich verlegen fühle, wenn ich daran denke, was ich verdiene und dass sie es auch wissen und mich trotzdem nicht bezahlen lassen.


Das kann anstrengend sein.

Und zeigt mir trotzdem, dass wir alle nur Menschen sind.
Trotz unserer kulturellen und religiösen Unterschieden sind wir uns so ähnlich. Wir machen uns Sorgen über unsere Freunde, wir haben Liebeskummer und schlafen schlecht. Wir stehen auf laute Musik, bei der der Beat in den Füßen kribbelt. Wir freuen uns über gutes Essen und wir werfen uns einen fragenden Blick zu: Ist Wein schon beim Mittagessen okay? Ja!


Es ist eine Herausforderung, sich nicht selbst ein neues Zuhause zu suchen, sondern einfach eines zu bekommen.

Doch es kann auch der schönste Gewinn werden.


Ein neues Land, dass ich wirklich kennen lernen darf. Doch langsamer als bei einer Reise. Ich darf mir Zeit lassen, alles zu verstehen, alles kennen zu lernen. Wir dürfen uns Zeit lassen uns kennen zu lernen. Das erste Mal gemeinsam Lachen verbindet. Das erste Mal gemeinsam Weinen noch viel mehr.


Bosnien ist mehr als nur ein neues Reiseziel. Eine neue Sprache. Neue Menschen.

Es ist jetzt einer dieser Orte, an denen ich immer willkommen bin. Wo mir eine Tür offen steht.

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1 comment

Das war der Januar - Kathi Daniela Februar 5, 2018 - 8:08 am

[…] Viel Pita, viel bosnischen Kaffee aus kleinen Tassen und kupfernen Kannen. Dem Schnee durchs Fenster zusehen. Große Flocken, die langsam und träge fallen. Guten Wein trinken und lachen, bis der Bauch wehtut. Neue Freundschaften schließen. […]

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