Die Kupferschmiede von Sarajevo

von Kathi Daniela

Als wir in die Straße einbiegen, erwacht sie gerade zum Leben. Statt des geschäftigen, hellen Klangs von Hämmern, hören wir das Lachen von Männerstimmen. Die Sonne bricht sich auf den zahlreichen Kupferkannen und kleinen Tassen, die vor den Läden stehen, der Geruch von Kaffee hängt in der Luft. Wir sind in der Kupferschmiedgasse in Sarajevo, einer der älteste Straßen der Stadt, wo wir Kenan Hidić besuchen. Er ist einer der letzten traditionellen Kupferschmiede von Sarajevo.

Sein Laden drückt sich in die Ecke der Straße, beim Betreten weiß der Blick gar nicht, wo er zuerst hin wandern soll: Die Regalbretter sind voller kupferner Kaffeekannen in allen Größen, kleinen Tässchen, genannt Fildjans, Tabletts und Kleinigkeiten wie Magneten, Kugelschreiber oder Armreifen. Kenan scheibt seine Werkzeuge beiseite und deutet auf zwei freie Stühle neben seinem niedrigen Arbeitsplatz, um den sich in einem organisierten Chaos seine Werkzeuge verteilen: Unterschiedlich große Hämmer, Meisel, Zangen. „Kommt, kommt, setzt euch auf einen Kaffee!“ Er legt seinen Gummihammer beiseite, ein halb fertiges Lesezeichen nimmt gerade auf dem Amboss Form an.

Kenan ist Kupferschmied in dritter Generation. Ihr Geschäft führt die Familie Hidić seit 1935 – das Kupferschmiede-Handwerk existiert in Sarajevo jedoch schon viel länger. Überlieferungen der ersten Kupferschmiede gehen auf das späte 15. Jahrhundert zurück. Benannt sind die Kazandžije nach den Kesseln, die sie für die osmanische Armee anfertigten. Das Handwerk wuchs stetig und im frühen 16. Jahrhundert gründeten die Kupferschmiede ihre eigene Gilde und erhielten ihre eigene Straße im Basar von Sarajevo: die Kazandžiluk, die heute noch genau so existiert.

Langsam durchbricht der helle Klang von Hämmern auf Kupfer die morgendliche Stille. Während wir noch Kaffee trinken, beginnen die anderen Schmiede ihr Tageswerk. „Ich mag meinen Job“, erzählt Kenan, „Ich habe ihn von meinem Vater gelernt und der von seinem Vater. Als ich noch klein war, hat mir mein Vater gebogene Kupferstreifen gegeben, die ich wieder geradebiegen sollte. So habe ich gelernt, mit dem Material zu arbeiten und nach und nach größere Stücke bearbeitet und angefangen, meine eigenen Muster zu entwickeln.“ Mit verschiedenen Hämmern und Meiseln arbeiten die Kupferschmiede filigrane Muster in Kaffeekannen, Tabletts oder kleinste Gegenstände wie Lesezeichen und Magneten. „Es ist keine schwere Arbeit“, lächelt Kenan. Die Falten um die Augen in seinem sonst sehr jugendlichen Gesicht kräuseln sich. „Die Leute denken, meine Arbeit ist sehr anstrengend, weil ich mit einem Hammer hier sitze, aber Kupfer ist ein sehr weiches Material. Ich brauche nicht viel Druck – aber Präzision! Und die lernt man mit den Jahren.“

Eine Touristengruppe aus Deutschland betritt den Laden und beobachtet, wie er kleine, fein gearbeitete Blätter auf das Lesezeichen zaubert. Das ting ting des Hammers hat etwas Meditatives. Kenan greift nach einer Kaffeekanne: „Diese hier machen wir in unserer Werkstatt“, erklärt er. Dort wird das Kupfer in eine Form gegossen und anschließend mit Blei gefüllt. „Nur so lassen sich Muster auf das Material hämmern“, berichtet er weiter und lässt die Besucher das schwere Objekt heben, „ohne Füllung würde ich es beschädigen.“ Später wird das Blei aus der Kaffeekanne herausgeschmolzen, die Innenseite mit Zinn versiegelt und so bereit für die Nutzung gemacht.

Im Laden der Hidićs gibt es auch ein paar Produkte, die Besucher kurz innehalten lassen. Kenan deutet auf das oberste Regalbrett – reich verzierte, runde Objekte stehen dort, einige so lang wie mein Unterarm. „Wisst ihr, was das ist?“, fragt er und die Touristen schütteln den Kopf. „Es sind Granaten.“ Millionen von ihnen seien im Krieg gefallen und die Einwohner der Stadt hätten sie gesammelt und an Fabriken verkauft, in denen das Messing zu Türklinken und anderen Gebrauchsmaterialien eingeschmolzen worden sei, erinnert sich Kenan. Er wirkt nicht verbittert, als er es sagt. Sein Gesicht ist entspannt und mit einem Lächeln gibt er der Reisegruppe zu verstehen, dass sie sich nicht unwohl zu fühlen brauchen – was passiert ist, ist Vergangenheit.   „Auch wir haben Granaten gesammelt. Wir verarbeiten sie – und machen Vasen daraus. Ein Gegenstand, der getötet hat, wird so zu etwas Schönem, das Leben schenken kann. Ich wünsche mir, dass das ein Sinnbild für die ganze Stadt wird.“ Rund zwei Tage braucht er, um eine der großen Granatenhülsen mit filigranen Mustern und Ranken zu verzieren.

„Auch wir haben Granaten gesammelt. Wir verarbeiten sie – und machen Vasen daraus. Ein Gegenstand, der getötet hat, wird so zu etwas Schönem, das Leben schenken kann. Ich wünsche mir, dass das ein Sinnbild für die ganze Stadt wird.“

Kenans Sohn Ali ist nach dem Krieg zur Welt gekommen. Ob er den Beruf seines Vaters eines Tages übernehmen wird, will ich wissen. Kenan nickt. „Er arbeitet bereits in der Werkstatt, gemeinsam mit meinem Vater.“ Er dreht sich auf seinem niedrigen Hocker um und deutet auf eine Zeichnung hinter sich an der Wand und danach das gerahmte Bild von einem Jugendlichen mit blondem Haar direkt daneben. „Das ist mein Großvater und das ist Ali.“ Sein Vater, erzählt er weiter, sei zwar inzwischen 73, aber arbeite immer noch jeden Tag in der Werkstatt. In Rente zu gehen, das könne er sich nicht vorstellen und so arbeiten tagtäglich drei Generationen von Hidićs in der Werkstatt. Sie können von ihrem Handwerk gut leben.

„Immer mehr Besucher kommen nach Sarajevo. Das ist auch für uns gut, denn sie wissen echte Handarbeit zu schätzen“, so Kenan. Wenn er sich an die Arbeit macht, weiß er nie, wie das Muster am Ende des Tages aussehen wird, er lässt sich von seiner Inspiration und Kreativität leiten. Aber nicht nur Touristen kaufen bei den Hidićs: bosnische Firmen lassen sich personalisierte Gastgeschenke anfertigen. Das Kenan den Beruf seines Vaters übernehmen würde, stand eigentlich von Beginn an fest. „Natürlich, als ich jünger war, wollte ich gerne Fußballer werden“, lacht er, „aber ich habe zwei linke Füße!“ Zwei linke Hände hat er nicht – an seinen Designs arbeitet er mit Präzision und Hingabe. „Es ist meine Therapie!“

Und es stört ihn nicht, dass regelmäßig Besucher in seinen Laden kommen und zusehen wollen, wir er Kupfergegenstände mit zarten Mustern verziert. Im Gegenteil: Seit Kenan und sein Bruder den Laden übernommen haben, sind die Hidićs auch auf Social Media aktiv: 9.000 Menschen aus aller Welt folgen ihnen auf Instagram, wo sie ihre Produkte präsentieren, sich selbst bei der Arbeit in ihrem Showroom zeigen und einen Einblick in ihre Werkstatt geben. Und vielleicht ist es genau das, was die traditionellen Kupferarbeiten aus Sarajevo und des Berufs des Kupferschmieds erfolgreich vom letzten in dieses Jahrtausend bringen wird: Die Fähigkeit, Begeisterung für die eigene Arbeit an andere zu übertragen – auf den Bildschirm und im echten Leben. So wie Kenan Hidić, der gerade den Namen eines Besuchers auf ein Lesezeichen hämmert und es dann auf seine Reise schickt, in irgendein Wohnzimmer auf der Welt!