»Seems like you’ve been everywhere!« Es klingt ein bisschen bewundernd und ist mir beinahe unangenehm. Ich starre in meinen Kaffee. »Ich bin ein bisschen rumgekommen, ja…«, murmle ich verlegen. Es liegt mir total fern, irgendwie anzugeben oder so. Aber ganz normal und gewöhnlich ist es eben nicht, innerhalb von drei Jahren in drei Ländern zu leben – eines davon südlich es Äquators – und immer wieder die Koffer zu packen.
Ich will nicht diejenige sein, die jeden zweiten Satz beginnt mit: »Damals in XYZ…«. Aber Fakt ist, dass es eben in meinem Leben inzwischen viele Erinnerungen und Freundschaften gibt, die im Ausland stattgefunden haben. Auch, wenn ich in Deutschland noch kistenweise Sachen habe, verteilt auf den Dachböden meiner Oma, meines Papas und meiner Mama, ohne überhaupt noch zu wissen, was sich genau wo befindet. Ich lebe in möblierten Apartments und bin weit davon entfernt, mir eigene Bilder, Möbel oder Küchengeräte anzuschaffen. Auch, wenn mit der Hochzeit einiger Hausstand bei uns eingezogen ist.
Und manchmal komme ich mir vor, als hätte ich hier irgendetwas falsch gemacht, wenn ich Blogger sehe, die alle mal schnell auswandern und ihre Wohnung untervermieten, um dann im anderen Land in unglaublich stylischen Buden zu wohnen. Oder die echten Auswanderer, die es sich in der neuen Heimat innerhalb kürzester Zeit so richtig heimelig gemacht haben. Während ich irgendwie nix halbes und nix ganzes bin: Kein digitaler Nomade, da Wohnung. Kein Auswanderer, da Aufbruchsstimmung und in Deutschland aber auch nicht mehr daheim.
Falls jetzt doch noch jemand Lust hat, diese Sache mit dem Auswandern zu probieren:
Hier ganz ungeschönt die Vorteile und Nachteile des Auswanderer-Lebens.
Die Vorteile
Die Nachteile
1 〉 Raus aus alten Mustern
Manchmal ist Daheim wie ein Gefängnis. Irgendwann kann man nicht mehr der Mensch sein, der im Kinderzimmer im Dachgeschoss gewohnt hat, der bei Frau Oppler in der zweiten Klasse geweint hat, wenn der Nikolaus ins Klassenzimmer kam und der in der sechsten Klasse heimlich hinter der Hecke geraucht hat, um cool zu sein. Irgendwann kann man sich selbst nicht mehr in die Schublade zu stecken, in der man seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Und manchmal geht das eben nur durch Distanz. Und zwar nicht nur emotional, sondern auch physisch.
2 〉 Leben wo andere Urlaub machen
Ach ja, diese super romantische Vorstellung davon, im Paradies zu leben… let me tell you: Es stimmt! Es ist unglaublich geil, jeden Morgen zu einem strahlend blauen Himmel aufzuwachen. Das Meer und die Berge vor der Haustür gaben mir in Kapstadt unglaublich viel Energie. Und auch, wenn der Alltag im Paradies nicht anders ist, als in Deutschland, so ist es doch etwas, dass man meiner Meinung nach immer wertschätzt, wenn man bewusst dorthin gezogen ist.
3 〉 Ein Zuhause weg von Zuhause
Dieses home away from home Gefühl ist für mich vielleicht das Tollste am Auswandern. Es ist wirklich wunderschön, mehr als ein Zuhause zu haben, in dem man willkommen ist. Mehrere Menschen Familie zu nennen, ganz unabhängig davon, wo sie herkommen, wie sie aussehen oder welche Sprache ihre Muttersprache ist.
4 〉 Ein Land wirklich kennen lernen
An einem Ort zu leben oder an einem Ort Urlaub zu machen – das ist ein ganz unterschiedliches Gefühl, hat schon Liz Gilbert in Eat Pray Love geschrieben. Und sie hatte so Recht. Es ist ein riesiger Unterschied, in Kapstadt auf der Straße einzukaufen oder in Tschechien das erste Mal zum Arzt gehen zu müssen und nichts zu verstehen. Es ist anders, einen Weihnachtsmarkt in Prag nur zu besuchen oder am Tag vor Weihnachten wirklich zu sehen, wie Leute ihre Karpfen mitnehmen, um sie in der Badewanne weitere 24 Stunden am Leben zu halten, bis sie auf dem Teller landen. Nichts macht toleranter und ist spannender, als wirklich in einer anderen Kultur zu leben und sie kennen zu lernen.
5 〉 Die Freiheit, weiterzuziehen
In eine neue Stadt oder ein neues Land zu ziehen ist jetzt keine Sucht wie die nach Zigaretten oder nach immer einem neuen Tattoo. Aber es ist etwas daran, das süchtig macht. Ich kenne Menschen, die hält es nie länger als zwei bis drei Jahre an einem Ort.Dann geht es weiter: Neue Menschen kennen lernen, eine neue Stadt erkunden, ein neues Land erforschen. Ja, vielleicht ist es doch wie eine Sucht. Aber wenn du dich einmal aus deinen alten Mustern gelöst hast, dann hast du sie auch: Diese Freiheit, jederzeit weiterzuziehen. Du hast es einmal gemacht, du kannst es auch ein zweites Mal schaffen.
1 〉 Neue Freundschaften schließen
Ja, ja, ich habe gesagt, dass man ein wunderschönes Zuhause weg von Zuhause findet, wenn man auswandert. Das stimmt auch. Aber wenn man wie ich ein eher introvertierter Typ ist, der viel Zeit mit sich selbst braucht und den große Menschengruppen immer irgendwie uneasy machen, dann kann es manchmal ganz schön anstrengend werden, neue Freundschaften zu schließen. Und die braucht man, wenn der Uber-Driver und der Pick’n’Pay-Kassierer nicht die einzige Personen sein sollen, mit denen man am Wochenende redet.
2 〉 Immer knapp bei Kasse
Umziehen kostet Geld! Es ist ja schon teuer, wenn man nur von Hamburg nach Hannover zieht. Ganz von einem neuen Land oder Kontinent abgesehen also. Und dann wären da noch diverse Auslandskrankenversicherungen, weil die im Auswanderungsland nichts taugt und die wenigen Ersparnisse, die man in die Rentenversicherung steckt, falls man den Lebensabend doch in Deutschland verbringen will und die immens hohe Rechnung für die mobilen Daten wegen der zahllosen WhatsApp-Calls nach good old Germany und natürlich der Fakt, dass im Paradies die Löhne oft nicht so paradiesisch sind…
3 〉 Alte Freundschaften verlieren
Ja, das ist traurig und schlimm – und passiert. Ich habe es nicht geschafft, mit allen Freunden in engem Kontakt zu bleiben. Manche Freunde haben mir einfach nicht so gefehlt – manchen Freunden habe ich nicht so gefehlt. Das klingt gemein, aber das ist der Lauf der Zeit. Und auch, wenn es super Klischee klingt: Die Beziehungen, die richtig tief und echt sind, die bleiben bestehen – auch, wenn einer geht!
4 〉 Nirgendwo Zuhause sein
Was man sagt, ist wahr: Du wirst dich nie wieder so richtig in deiner alten Heimat Zuhause fühlen. Weil du nicht mehr reinpasst und weil ein Teil deines Herzens einfach immer irgendwo anders ist. Das passiert, wenn du Menschen an mehr als einem Ort kennst. Und wenn Zuhause einfach alles immer beim Alten bleibt.
5 〉 Die Sprachbarriere ist real!
Ganz ehrlich, viele Leute kriegen ja schon Schweißausbrüche bei dem Gedanken daran, im Urlaub in die Apotheke zu müssen. Oder tatsächlich zum Arzt. Aber jetzt denke mal, du hast das jeden Tag. Du hast deine Routineuntersuchung beim Zahnarzt und Gyn in einer anderen Sprache, du musst deine Creme für irgendeinen peinlichen Ausschlag laut gestikulierend in der Apotheke kaufen, deine Steuern in einer noch verwirrenderen Bürokratie machen als der deutschen, ein Bankkonto eröffnen, dich mit Visumsbehörden herumschlagen und und und… Ja, das ist einer der Punkt, bei denen Auswandern wirklich gar keinen Spaß macht!
6 〉 Heimweh is a bitch
Und zwar eine, die sich ganz gemein von hinten anschleicht – immer dann, wenn du es am wenigsten erwartest. Vielleicht nur eine Facebook-Erinnerung, eine liebe Nachricht oder einfach ein Moment, den du so gerne mit deinen Freunden oder deiner Familie teilen würdest. Und die Tränen fließen. Get used to it.
7 〉 Keine Haustiere
Das ist jetzt vielleicht eher was persönliches aber: Ich hätte ja so gerne eine Katze. Ich bin mit Katzen aufgewachsen, mit Pferden, mit Hunden. Tiere haben immer zu meinem Leben gehört. Aber Platz in diesem Auswanderer-Leben haben sie einfach nicht. Den Stress will ich weder mir noch einem Tier antun. Und so werde ich wohl noch warten müssen, bis ein kleines Kätzchen durch meine Küche tolllt – vielleicht sogar für immer. Not okay with that.
Yes, es stimmt. Die Liste der Nachteile ist länger. ein ganzes Stückchen sogar! Aber eine Sache steht für mich fest:
Ich bereue keinen einzigen Tag der letzten zwei Jahre!
Ich bereue keine Träne, kein Heimweh und keine Ärgernisse mit Behörden. Ich habe ganz wundervolle Menschen im Ausland kennen gelernt. Ich habe gelernt, in drei Tagen meine sämtlichen Besitztümer zu packen, habe die Angst verloren, neue Menschen kennen zu lernen – einfach anzusprechen sogar – und habe die Liebe gefunden. Im Ausland zu leben hat mich toleranter gemacht und gleichzeitig unnachgiebiger – gegenüber Ungerechtigkeiten, Rassismus und dummen, unangebrachten Sprüchen.
Es hat mir unheimlich viel über mich selbst beigebracht und ich genieße es, jeden Tag noch mehr über mich selbst zu erfahren und über die Welt, in der wir leben.
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